Der Beleg für Edith Ruß‘ NSDAP-Mitgliedschaft ist seit Jahren im Besitz der Stadt. Angeblich wusste die Verwaltung davon nichts.
Edith Ruß war nicht in der NSDAP. Diese Legende verbreitete die Stadt Oldenburg seit Eröffnung des nach ihr benannten Edith-Russ-Hauses im Jahr 2000. Auch nach den Veröffentlichungen zu ihrer Tätigkeit als NS-Propagandistin Anfang letzten Jahres betonte die Stadt zu ihrer Verteidigung immer wieder, dass Ruß nicht in der Partei gewesen sei.
Das Gegenteil bewies schon im April eine einfache Anfrage von Lars Schwarz, Teil von oldenburg transparent, beim Bundesarchiv, noch bevor die Historiker:innen das von der Stadt in Auftrag gegebene Gutachten fertiggestellt hatten.
Trotzdem lohnt sich der Blick in das Gutachten. Denn dort versteckt sich zwischen den Zeilen eine brisante Information. Die Historiker:innen schreiben: „Die Parteimitgliedschaft ist auch in ihrem 1942 ausgestellten Schriftleiter-Ausweis festgehalten.“
Tatsächlich ist in dem Ausweis nicht nur ihre Parteizugehörigkeit, sondern gleich ihre vollständige Mitgliedsnummer vermerkt. Der Ausweis liegt als Teil von Ruß‘ Nachlass im Edith-Russ-Haus, ist also im Besitz der Stadt. Der Nachlass wurde für die Erstellung der von der Stadt im Jahr 2000 herausgegebenen und inzwischen wegen gravierenden Fehlern zurückgezogenen Biographie durchgesehen und ausgewertet. Bedeutet: Die Stadt musste von der NSDAP-Mitgliedschaft wissen – zumindest wenn der Schriftleiterausweis bei Erstellung der Biographie Teil des Nachlasses war.
Genau das bestreitet der Pressesprecher der Stadt auf Anfrage: „Aus den zu diesem Zeitpunkt vorliegenden Unterlagen war eine Mitgliedschaft in der NSDAP nicht ersichtlich.“ Der Schriftleiterausweis sei irgendwann zwischen Erstellung der Biographie 2000 und der Erstellung des Gutachtens 2024 zum Nachlass hinzugestoßen. Wann, woher und warum der Ausweis nicht direkt nach Ruß‘ Tod 1993 Teil des Nachlasses war, sei jedoch nicht mehr nachvollziehbar. Es gebe keinerlei Aufzeichnungen. Dennoch könne die Stadt mit Sicherheit ausschließen, dass der Schriftleiterausweis sich von Anfang an in ihrem Besitz befunden hat. Ruß-Biographin Paula von Sydow, heute Leiterin des Kulturbüros der Stadt, wollte sich auf die Frage, ob der Ausweis Teil des Nachlasses war, als sie die fehlerhafte Biographie geschrieben hat, nicht äußern.
Als mögliche Erklärung für diesen ungewöhnlichen Vorgang bringt der Pressesprecher die Hypothese ins Spiel, dass der Schriftleiterausweis sich einige Zeit im Besitz einer Person in der Kulturverwaltung befunden haben könnte, und nach deren Ausscheiden in den Nachlass im Edith-Russ-Haus übergegangen sei. Das würde im Umkehrschluss bedeuten, dass der Schriftleiterausweis vorsätzlich zurückgehalten wurde.
Oberbürgermeister Krogmann (SPD) kritisiert die Berichterstattung zu Ruß, da sie den Eindruck erwecke, „dass die Verwaltung in dieser Angelegenheit blockiere oder etwas verheimliche.“ Das weise er ausdrücklich zurück. Auch Marcel Schwierin, Teil des Leitungs-Duos des Edith-Russ-Hauses, hatte „maximale Transparenz“ verkündet. Warum hat die Stadt im Rahmen der öffentlichen Debatte dann nicht eingeräumt, dass sie schon seit Jahren im Besitz des Belegs für Ruß NSDAP-Mitgliedschaft ist? „Dazu gab es keine Veranlassung“, erklärt der Pressesprecher.
Ob der Schriftleiterausweis nun beim Schreiben der Biographie „übersehen“ wurde, oder ob er sich wirklich zu einem unbekannten Zeitpunkt auf mysteriöse Weise materialisiert hat – der Vorgang wirft Fragen auf. ◯