Billige „24-Stunden-Hilfen“ aus Osteuropa

Die VHS Oldenburg hat in einem Vortrag über die Betreuung durch „24-Stunden-Hilfen“ aus Osteuropa informiert. Das System wird von Expert*innen heftig kritisiert. Die Dozentin ist selbst Mitarbeiterin einer Vermittlungsagentur für osteuropäische Betreuungskräfte.


Im Oktober hat die Volkshochschule Oldenburg den Vortrag „Im Alter zuhause bleiben – Hilfe durch osteuropäische Betreuungskräfte“ angeboten. Für 6 Euro konnten sich Betroffene, die sich „scheuen“ eine „24-Stunden-Hilfe“ zu engagieren, über das Thema informieren.

In Deutschland arbeiten geschätzt 300.000 bis 700.000 ausländische Betreuungskräfte als sogenannte „24-Stunden-Hilfen“, die meisten kommen aus Osteuropa. Sie ermöglichen es Pflegebedürftigen, die sich keine deutsche Pflege leisten können, noch im Alter in den eigenen vier Wänden zu wohnen. Was für die Betroffenen und deren Angehörige eine große Erleichterung ist, sehen Experten kritisch.

Laut Deutschem Institut für Menschenrechte herrschen für die Betreuungskräfte oft „ausbeuterische Bedingungen“ – kein Mindestlohn, keine Privatsphäre, unmenschliche Arbeitszeiten. Die Branche ist in Deutschland nicht reguliert und die derzeitige Situation sei „aufgrund gravierender struktureller Probleme grund- und menschenrechtlich nicht vertretbar“.

Das Beschäftigungsverhältnis befinde sich oft in einer „rechtlichen Grauzone“. Bei dem beliebtesten Modell, der Entsendung, wenden sich Pflegebedürftige an eine deutsche Agentur, die Kontakt zu einem ausländischen Unternehmen herstellt. Dort sind die Betreuungskräfte angestellt und werden nach Abschluss eines Dienstleistungsvertrags zwischen den Pflegebedürftigen und dem ausländischen Unternehmen nach Deutschland entsendet. Hier arbeiten sie für einige Wochen oder Monate und kehren anschließend in ihr Heimatland zurück. Die deutsche Agentur erhält für die Vermittlung eine Gebühr.

Es handle sich jedoch meistens um Scheinentsendungen, weil die Entsendeunternehmen die rechtlichen Voraussetzungen oft nicht erfüllen oder sich dafür „kreativer Praktiken“ bedienen. Das deutsche Institut für Menschenrechte geht deshalb in der Regel von illegaler verdeckter Arbeitnehmer*innenüberlassung aus.

„In Fachkreisen wird dieses Entsendungsmodell immer wieder kritisiert, weil Firmen damit Sozialabgaben und Löhne sparen und zudem keine Verantwortung für die Beschäftigten übernehmen müssen.“, schreibt das Deutsche Institut für Menschenrechte. „Das Modell baut […] wesentlich darauf auf, dass im Haushalt fast keine Kontrollen stattfinden und hier die Grenzen zwischen Arbeits-, Bereitschafts- und Ruhezeit verschwimmen“, sagen Wissenschaftlerinnen. „So mag offiziell […] eine 40-Stunden-Woche vereinbart sein. Gleichzeitig werben die entsprechenden Agenturen auf ihren Homepages mit einer Betreuung rund um die Uhr.“

Ob die Dozentin der VHS die Teilnehmenden umfassend über die arbeits- und menschenrechtlichen Probleme der Entsendung von Betreuungskräften informiert hat ist fraglich. Sie verdient selbst ihr Geld in einer Vermittlungsagentur, die mit „24-Stunden“-Betreuung wirbt.

Die Agentur der Dozentin stellt auf ihrer Seite klar, dass eine 40-Stunden-Woche gilt, eine Aufzeichnungspflicht der Arbeitszeit bestehe aber nicht. Mit Hilfe eines Fragebogens und durch Austausch mit den Kunden könne sie die Arbeitszeit „in der Regel recht realistisch abschätzen“. Sollte die Betreuungskraft trotzdem über eine zu hohe Arbeitszeiten klagen, würde sie dem nachgehen und versuchen, eine Lösung zu finden. Die genaue Erfassung der Arbeitszeit sei aber Aufgabe der Entsendefirma. Wie das ausländische Unternehmen die Arbeitszeiten in dem deutschen Haushalt überwachen soll ist unklar.

In einem Rechenbeispiel geht die Agentur von 10,19€ und 9,06€ Stundenlohn für die Betreuungskräfte aus. Der gesetzliche Mindestlohn liegt bei 12€. Auf Anfrage schreibt die Agentur, das Beispiel sei „deutlich veraltet“ und die Entsendefirmen zahlten immer Mindestlohn oder mehr. Sie hat das Beispiel inzwischen von ihrer Internet-Seite entfernt. Was die Betreuungskräfte aktuell verdienen könne die Agentur aber nicht sagen.

Auf Anfrage erklärt die VHS Oldenburg, die Dozentin habe ihre berufliche Tätigkeit gegenüber den Teilnehmenden des Vortrags offengelegt. Außerdem habe sie über eine Vielzahl weiterer Betreuungsmöglichkeiten informiert. In der Ankündigung hieß es, der Vortag richte sich an alle Betroffenen, die sich „scheuen“ eine osteuropäische „24-Stunden-Hilfe“ einzustellen. Andere Betreuungsmöglichkeiten wurden nicht erwähnt. Die Dozentin sei auf die rechtlichen Rahmenbedingungen sowie Kritik eingegangen.

Während dem Vortrag hat die Dozentin mit Broschüren ihrer Agentur geworben. Die Teilnehmenden hätten laut VHS jedoch gelobt, dass die Dozentin „eben keine Werbeveranstaltung für eine Agentur veranstaltet, sondern über die Vielfalt der Servicestellen und Anbietenden von Unterstützungsleistungen informiert“. Die VHS Oldenburg sieht keinen Interessenkonflikt.

Angesichts der gravierenden arbeits- und menschenrechtlichen Probleme der sogenannten „24-Stunden-Betreuung“ wäre eine Behandlung des Themas durch unabhängige Expert*innen vielleicht sinnvoller gewesen.