(Eine kompakte Version des Artikels findet sich in der taz Nord.)
Die Oldenburger Kunst-Stifterin war fanatische Nationalsozialistin, Verfechterin von „Volk und Vaterland“, der „ewigen Werte deutscher Kunst“ und rief zum Heldentod an der Front auf.
„[…] Volk und Vaterland sind Ideen, die wir so fest in uns einsaugen sollen, bis sie gleichsam wieder als uns in Fleisch und Blut übergegangene Wahrheit in uns weiterwirken.“
– Edith Ruß
1993 stirbt die Oldenburger Lehrerin Edith Ruß und hinterlässt der Stadt ein Vermögen von 2 Millionen Mark, unter der Bedingung, dass sie eine Institution für „Kunst im Übergang zum neuen Jahrtausend“ schafft. Sieben Jahre später ist das Edith-Russ-Haus für Medienkunst geboren. Über die Vergangenheit der Stifterin spricht die Stadt nicht gerne, aus gutem Grund: Ruß war fanatische Nationalsozialistin, zwischen 1939 und 1945 Propagandistin für verschiedene NS-Zeitungen und glühende Verfechterin „deutscher Kunst“.
Ausbildung
Ihre Karriere beginnt Ruß 1939 mit einer Ausbildung zur „Schriftleiterin“ bei den Oldenburger Nachrichten. Die Zeitung ist, wie soll es damals anders sein, linientreu, betreibt Kriegspropaganda und hetzt praktisch täglich gegen Juden.
Eine freie Presse gibt es in Deutschland zu diesem Zeitpunkt schon lange nicht mehr. Der Beruf des „Schriftleiters“ ist eine vom Staat gelenkte öffentliche Aufgabe und steht nur politisch gewünschten Personen offen. Ruß ist eine davon.
Für die Zulassung als „Schriftleiterin“ legt sie einen „Ariernachweis“ vor und die „Schriftleiterprüfung“ samt Gesinnungstest besteht sie „mit bestem Erfolg“. Mit der Aufnahme in den Reichsverband der Deutschen Presse wird sie in die Liste der „Schriftleiter“ eingetragen und offiziell zum Sprachrohr des Nationalsozialismus. Der Verband war Teil der Reichspressekammer, einer Abteilung der Reichskulturkammer, in der sie als „Schriftleiterin“ ebenfalls Mitglied ist. Sie untersteht damit den Weisungen „unseres Dr. Goebbels“, wie sie ihn liebevoll nennt.
Ruß verpflichtet sich gemäß dem Schriftleitergesetz nichts zu schreiben, das „die Kraft des Deutschen Reiches“, dessen „Wehrhaftigkeit“ oder „den Gemeinschaftswillen des deutsch Volkes“ schwächen könnte.
Deutsche Kunst im Kriege voran
Sie macht sich sogleich an die Arbeit und veröffentlicht 1940 den Artikel Worpsweder Kriegs-Bilderbogen. Darin schwärmt sie von ihrem Besuch im Niedersächsischen Künstlerdorf und der Schaffenskraft der ansässigen NS-Künstler, insbesondere „zu einer Zeit, da an Deutschlands Grenzen der Feind steht.“ Sie ist froh in Manfred Hausmann, dem regimetreuen Dichter, „einen Begleiter in Feldgrauer Uniform zu haben“: „Wie er jetzt dasteht, im Waffenrock, jung, elastisch, sportbegeistert, sollte man nicht glauben, daß er diesmal schon in den zweiten Krieg geht. […] Schon im Weltkriege trug er die Uniform, und er ist stolz, daß er diesmal wieder dabei ist.“ Ruß‘ Fazit ihres Besuchs: „Die deutsche Kunst auch im Kriege voran! heißt die Parole, die von der Führung ausgegeben wurde. In Worpswede hat man sie gehört.“
NS-Justizapparat
Nach ihren ersten Schritten als Kriegspropagandistin legt Ruß erst einmal einen Abstecher in die Justiz ein. Als Sekretärin unterstützt sie ein Jahr lang den Präsidenten des Oldenburger Oberverwaltungsgerichts Eugen Dugend bei seiner Arbeit. Durch die Nazis für seinen politisch unerwünschten Vorgänger eingesetzt verwaltet das NSDAP-Mitglied sein Amt im Sinne der Machthaber. Ruß war ihr Leben lang besonders stolz auf ihre Arbeit am NS-Gericht und sah in Nazi-Richter Dugend auch Jahrzehnte später einen ehrenvollen Mann.
Ihr Traumberuf ist aber die Arbeit als „Schriftleiterin“, wie das Regime seine Propagandisten nennt. Von 1941 bis 1943 geht sie deshalb nach Berlin zur Frauen-Illustrierten Hella und anschließend für drei Monate nach Breslau, heute Wrocław, in den Osten.
Luxus im Osten
Hier arbeitet Ruß beim Gauverlag-NS-Schlesien und lässt es sich gut gehen. Sie wohnt auf Verlagskosten in einem Luxushotel und schwärmt von der Bedienung durch „holländische Kellner“. In ihrer Freizeit geht Ruß wandern oder ins Theater und fühlt sich fast wie Zuhause. Bei einem Ausflug in die Slowakei erkennt sie auch bei dem faschistischen Verbündeten den „Kampf ums Volkstum“.
Nach drei Monaten bekommt sie Heimweh und kündigt: „Ein Grund dafür war auch, daß ich aus meinem herrlichen Hotel ausziehen mußte […] und ein scheußliches möbliertes Zimmer in der Opitzstraße bekam. Inmitten der Nippesfiguren und Plüschmöbel fühlte ich mich eingeengt.“
Mitte 1943 geht’s zurück nach Oldenburg. Hier ist Ruß bis Kriegsende Leiterin des Feuilletons der Oldenburgischen Staatszeitung: Amtliches Verkündungsblatt der Nationalsozialistischen Arbeiterpartei, des Reichsstatthalters und der Oldenburgischen Staatsregierung. Die Zeitung ist, wie der Name unschwer erkennen lässt, das offizielle NSDAP-Organ in Oldenburg. In ihren Artikeln für die Zeitung lässt sie keinen Zweifel an ihren nationalsozialistischen Überzeugungen.
Um sich ein umfassendes Bild ihrer Geisteshaltung machen zu können folgt nun eine Wand aus mehr oder weniger ungekürzten Zitaten von Ruß. Wir starten mit ihrer Kriegspropaganda, machen einen kleinen Schlenker über ihren tiefen Frauenhass und widmen uns schließlich ihren Ansichten zu deutscher Kunst und Kultur, wobei die Grenzen natürlich fließend sind. Das ist nicht schön zu lesen, bietet aber einen guten Eindruck von ihrem bis zum Religiösen reichenden Fanatismus.
Deutsches Blut
Zu Weihnachten 1944 sagt Ruß in einem Artikel den unausweichlichen Endsieg voraus: „Wer am Heiligen Abend […] seine Gedanken schweifen ließ […] zu allem, was deutschen Blutes ist auf dieser Welt, den kam eine Gewißheit an, daß alles, was wir erlitten haben und noch durchstehen müssen, ehe der Sieg unser ist, ein Wille der Vorsehung ist, oder des Ewigen, oder des Göttlichen, ohne das nichts geschieht, und daß wir aus solcher Prüfung rein, stark und groß hervorgehen müssen, damit wir des großen Vaterlandes würdig werden.“
Deutschland muss bestehen
Sie lobt das weichnachtliche Radioprogramm: „Am Nachmittag des 24. hörten wir schöne, alte und neue Weihnachtslieder, hörten die schöne dunkle Stimme eines Sängers, der so stark, so innig sang : Nun schweige ein jeder von seinem Leid / und noch so großer Not. / Sind wir nicht alle zum Opfer bereit / und zu dem Tod? / Eines steht groß in den Himmel gebrannt : / Alles darf untergehn. / Deutschland unser Kinder- und Vaterland, / Deutschland muß bestehen. Auf diesen Ton gestimmt war auch die Weihnachtsansprache unseres Dr. Goebbels, die um 21 Uhr über alle Sender ging.“
Ruß informiert über die Versorgung der Verwundeten in den Lazaretten: „Aehnlich wie hier, mit denselben schönen Gaben, Liedern und Musik, verliefen die Feiern in den übrigen Lazaretten. Die Kranken, die auf sein konnten, hatten an einer Feier teilgenommen , auf der [Parteigenosse] Westhusen sprach. Die Bettlägrigen wurden von Kreisleiter Engelbart und Kreisamtsleiter der [NS-Kriegsopferversorgung] Rudolph besucht. Des letzteren Organisation hatte im Verein mit der Frauenschaft, [NS-Volkswohlfahrt] und usw. vorgesorgt, daß – alle Geschenke zur rechten Zeit zur Stelle waren.“
Direkt unter ihrem Artikel kann man nachlesen, wer heute wieder für „Führer, Volk und Vaterland“ gestorben ist.
Stark im Hass
Ruß ruft zum Hass gegen den Feind auf, wortwörtlich: „Wir spüren, daß die Weltenuhr zum Schlage angesetzt hat, und dem Volke, dem sie neue Stunde schlägt, gehört das Leben. […] Mir will es scheinen, als hätten wir, die wir auf Heimatwacht stehen, nichts Besseres zu tun, als unsere ganze Kraft und unser gläubiges Herz für unseres Volkes Zukunft einzusetzen. […] Gerade heute […] müssen wir immer wieder dahin zurückkehren, wo uns die Quellen des deutschen Geistes fließen. Wenn wir den Feind, der Tod und Zerstörung bringt, grimmig hassen, so wollen wir unsere Liebeskraft nur umso strahlender an die verschenken, die unsere Freunde sind. Stark sein – in der Liebe wie im Haß […]. Im Gedanken an unsere Brüder an den Fronten gehen wir dem Weihnachtsfest entgegen.“
Heldentod für’s Vaterland
In „Einer Mutter einziger Sohn“ bespricht Ruß ein Buch der Nazi-Autorin Ina Seidel und konzentriert sich auf einen Punkt, der ihr besonders am Herzen liegt: „Ich will heute den einen [Gedanken] herausgreifen, der wie eine Brücke Anfang und Ende des Buches miteinander verbindet, den Gedanken vom Tod fürs Vaterland.“ Das Buch handelt von Christoph, einem jungen Mann, der sich voller Begeisterung an die Front stürzt. „Zwanzig Jahre wurde er alt. Das ist eine kurze Spanne Zeit, an Jahren gemessen, und sie birgt doch die Erfüllung eines Menschenlebens. […] [Seine Mutter] wußte, es gäbe Schlimmeres für ihn als den Tod. […] Sie wußte jetzt, dieser Tod war eine heilige Sache. Ich glaube, die Dichterin will sogar sagen: er kam nicht einmal zu früh. Dieses Leben war in sich vollendet. Und hätte Christoph noch einmal die Wahl gehabt, er würde wieder bedingungslos dem Vaterland gedient haben, auch um den Preis des eigenen Lebens. […] Welch tröstliche Gewißheit! Und habe ich nicht recht zu sagen, daß dieses Schicksal für viele steht? Gerade heute!“
Der undeutsche Mond
Ruß muss oft an den undeutschen „fremden und unheimlichen Mond“ denken, „der über unseren Soldaten scheint, wenn sie in den endlosen Steppen Rußlands nächtens von der Heimat träumen, […] und in den Deutschen, die unter Zypressen und Zitronenbäumen an das Vaterland denken, das Heimweh weckt“.
Krieger und das zarte Geschlecht
In ihrem Artikel Soldatenbriefe an die Frau verbindet Ruß ihren Vaterlands-Todeskult mit ihrer tiefen Frauenfeindlichkeit: „Soldatenbriefe reden ihre eigene Sprache. Ob sie in Stunden des Kampfes, der Not oder der großen Entscheidungen geschrieben sind […], immer spricht aus ihren Zeilen das Ergreiftsein von einem unverkennbar männlichen Schicksal. Der Schreiber steht in einer neuen Ordnung, einer Welt, in der Begriffe, wie: Vaterland, Mut, Gehorsam, Tapferkeit und männliches Aufsichnehmen die Stunde regieren.“
Todesbereit für’s Vaterland
Die „Todesbereitschaft“, die sich im Angesicht „des größeren vaterländischen Geschicks“ offenbare, könnten die zarten Frauen jedoch nicht verstehen: „Es muß etwas Herrliches sein um die Kameradschaft unter Männern, die sich in ernster Begeisterung für ein hohes Ziel vereint wissen, aber es gibt einen Klang, der findet sich nur in Briefen an die Frau. In ihnen schwingt ein Ton mit, der an das Menschliche rührt. Der Schreiber, der am Ende eines kampfreichen Tages nach dem Papier greift, um der Lebensgefährtin von seinem Ergehen zu berichten, überläßt sich ganz einfach dem schönen Gefühl, daß er sich einmal frei aussprechen kann, nicht als Held und Krieger, sondern als Mann zu der Frau […]. Werden diese Briefe noch gar in Zeiten hohen vaterländischer Begeisterung geschrieben, […] so steigert sich, der Briefschreiber wohl gar zu idealen Bekenntnissen über Volk und Staat und Vaterland […]. Welche – und sei es die geliebteste – Frau könnte den Abgrund ermessen, der sich auftut, wenn das Leben sich auf seine ursprünglichen Bedingungen zurückgeführt sieht und der Kampf gegen eine Urgewalt beginnt? Aber das Menschliche, die Wärme, die Liebe, das ist ihr Reich […].“
Ruß schwärmt von Feldherren, die „begeistert“ in den Krieg ziehen und in der Schlacht den „Heldentod“ finden und von „Verfasser[n] kühner Soldaten- und Kampflieder“.
Frauen an den Herd
Frauen hätten nicht die „männliche Kraft [des] Geistes“, sondern ein „ganz weibliche[s] Einfühlungsvermögen“. Viele von ihnen seinen wegen ihrer „urtümlichen Veranlagung“ von Natur aus „ideale Hausfrauen, Geliebte oder Mütter.“ Sie gehören deshalb an den Herd, wie Ruß in ihrem Artikel Mädel, werde hauswirtschaftlicher Lehrling! unmissverständlich klarmacht: „Kein Beruf – darüber sind wir uns einig – ist für die Frau von so großer Bedeutung wie der der Hausfrau.“ Ruß ist der Überzeugung, „daß es für ein Mädel nichts Gesünderes und für die Zukunft Vorteilhafteres gibt als die gründliche, Schulung in allen Zweigen des Haushalts.“ Die Hausarbeit sei „eine wertvolle Erfahrung für die Ehe“ und „eine Ehre […], für die man dankbar zu sein hat“, denn „im Haushalt, in dem geordneten, persönlichen Kreis einer Familie ist ein Mädchen von praktischer Begabung und gutem Charakter immer noch am besten aufgehoben.“ Außerdem: „Haushaltsarbeit ist die beste Gymnastik, weil dabei der ganze Körper durchgearbeitet wird […].“
Ruß hat dabei natürlich auch die Volksgemeinschaft im Blick: „Ohne gut versorgte Haushalte funktioniert das ganze Staatsgetriebe nicht!“ Man müsse Mädchen den Wunsch nach „Männerberufen“ aus dem Kopf schlagen „und an seine Stelle den Wunsch nach häuslicher Tätigkeit setzen.“ Nur für ein paar andere Tätigkeiten seien sie noch zu gebrauchen: „Kinderpflegerin, Krankenschwester, Kindergärtnerin, Kinder- und Säuglingspflegerin, […] Köchin, Diätassistentin […], Berufe also, die der Frau liegen, in denen sie sich wohl fühlen kann.“
Das Reich kümmert sich
Ruß preist die Versorgung durch das NS-Regime. Das Deutsche Frauenwerk biete eine exzellente Ausbildung, der Staat habe tolle Arbeitsplätze und die „Ausstattungsbeihilfe für Hausgehilfinnen“, die man bei Arbeit in kinderreichen Familien bekommt, sei besonders großzügig: „Damit hat es das Reich übernommen, die finanzielle Grundlage für die Ehe oder Altersversorgung der verdienten Hausgehilfin zu geben.“
Schuften für den Endsieg
In einem anderen Artikel ruft Ruß 1944 die deutschen Frauen zur Arbeit für den Endsieg auf. Die Zeiten werden härter, daran lasse auch „unser Reichsminister Dr. Goebbels“ keinen Zweifel. Deshalb habe jede Frau „füglich auch die Pflicht, nach einem Einsatz Ausschau zu halten, der ihnen eine volle Verwertung ihrer Kenntnisse im Dienste des Volksganzen ermöglicht.“ Zur Erhöhung der Moral prangt mitten im Artikel die Durchhalteparole: „Deutsche Frau! Auf dich kommt es an. Auch Dein richtiger Einsatz entscheidet über das Schicksal unserer Front. Mit aller Kraft weiter zum Sieg!“
BDM, KdF und völkisches Bewusstsein
Ruß ist als Feuilleton-„Schriftleiterin“ vor allem für Berichte über nationalsozialistische Kulturveranstaltungen zuständig. Ihr Urteil fällt, wenig überraschend, durchweg positiv aus. Das liest sich dann immer und immer wieder gleich:
„Die Kreisleitung Oldenburg – Stadt der NSDAP., Hauptstelle Kultur, bot ihren Gästen am Donnerstagabend im großen Schloßsaal einen erfreulichen künstlerischen Genuß.“
„Der NS.-Gemeinschaft ‚Kraft durch Freude‘ verdanken wir ein einzigartiges musikalisches Erlebnis.“
„Die Kreisdienststelle Oldenburg-Stadt der NSG. ‚Kraft durch Freude‘ wartete am Mittwochabend im großen Schloßsaal mit einem ungewöhnlich guten Programm auf.“
„Der Sonntagnachmittag brachte eine Veranstaltung des BDM.-Werkes ‚Glaube und Schönheit‘ im großen Schloßsaal, der für die zahlreichen Besucher zu einem schönen Erlebnis wurde. […] Die Zuschauer freuten sich über die Darbietungen, die ganz im Sinne der von der Reichsjugendführung gewünschten Arbeit lagen, und sparten nicht mit ihrem Beifall.“
„Im völkischen Bewußtsein kommen gerade den Gesangvereinen besondere Aufgaben bei der Feiergestaltung zu; in diesem Sinne darf man wohl den Schlußchor ‚Du sollst an Deutschlands Zukunft glauben‘ werten, der mit Unterstützung des Bläserchores eines Grenadier-Ersatz-Regiments gesungen wurde. Den Sängern wie den Zuhörenden wird der Abend gleichermaßen Freude bereitet haben.“
Kunstgenuss der Volksgenossen
Als Kunst-Liebhaberin ist Ruß Fan der NS-Kulturpolitik. Der Leiter des Reichspropagandaamtes habe „mit Ausdauer und Energie nicht locker gelassen, bis sein kultureller Plan verwirklicht war.“
Ruß schreibt: „Das ist der Beweis dafür, wie wichtig die Tätigkeit der NS.-Gemeinschaft ‚Kraft durch Freude‘ ist, die das Volk zu verständnisvollem Kunstgenuß erziehen will. Wir sind in unserm Gau nun so weit, daß jeder Volksgenosse […] eingespannt ist in den Kulturwillen unserer Zeit.“
Kampf um Kultur der Menschheit
Der Krieg sei ein „Kampf für die Kultur der Menschheit“: „Fast täglich meldet der Wehrmachtbericht neue schwere Zerstörungen an Bauten und Kulturdenkmälern. Städte, an die wir liebe Erinnerungen bewahren. Dome, in denen der Herzschlag vielhundertjähriger Geschichte lebte, Meisterwerke von Bildnerhänden, in denen sich die deutsche Sehnsucht, ihr Form- und Gestaltungstrieb verewigt haben, sie zerfallen unter dem Wüten eines barbarischen Feindes in Schutt und Staub. […] Wir können dem Vernichtungsangriff des Feindes auch damit begegnen, daß wir den Blick hinwenden auf die ewigen Werte deutscher Kunst. Das stärkt unsern Glauben an unsere Aufgabe als Deutsche in der Welt, das vergrößert unseren Abwehrwillen gegen alles, was uns auslöschen will aus dem Buch der Geschichte. Deutsch sein, heißt eine Verpflichtung in sich tragen, und neben der staatsbildenden Kraft, die es sich zu erhalten gilt, die Kraft des Geistes und der Kunst lebendig halten.“
Der Wille des Reiches
Einige „deutsche“ Künstler haben es Ruß besonders angetan. Arno Breker war der mit Abstand bedeutendste Bildhauer im Nationalsozialismus, gestaltete unter anderem die Neue Reichskanzlei, war zusammen mit Hitler im besetzten Paris und ein Pionier im Kampf gegen „entartete Kunst“. In seinen Skulpturen zeige sich laut Ruß „der Lebenswille einer Generation von Kämpfern“: „Seine Werke sind ohne Kompromiß wie der Wille, der das neue Deutschland beseelt, und sie würden auch demjenigen, der nichts von der Wehrhaftigkeit, dem sozialen und politischen Willen des Reiches wüßte, ein lebendiges Abbild unserer gegenwärtigen Zeit vermitteln – auf dem Weg über das Künstlerische.“
Glaube ans Volkstum
Die Dichter des Ersten Weltkriegs fand Ruß besonders gut, denn: „Sie hatten den Glauben an das Reich. Das war wie ein heiliges Symbol, und es stand für alles, was unsern Menschen Würde und Adel, unserm Namen Glanz und Kraft verleiht. Ueber die von Zerrbildern erfüllte Nachkriegszeit retteten sie den Glauben an das Volkstum.“
Bekannt aus Jud Süß und Der Hitlerjunge Quex
Ihr Lieblingsschauspieler war Heinrich George, Vater von Götz George. Mit Hauptrollen in Filmen wie Jud Süß oder Der Hitlerjunge Quex, war er ein Star der NS-Propaganda. „Es ist dankenswert, daß es dem Leiter des Reichspropagandaamtes gelungen ist, George und seine Mitspieler für diese Gaureise zu gewinnen“, schreibt Ruß über einen Besuch von ihm in Oldenburg.
Germanin
Der „Großfilm“ mit dem, laut Ruß, „stolzen Namen“ Germanin sei besonders gelungen. Er zeige „den Sieg des deutschen Geistes über eine Welt von Widerständen“, darunter „die Gehässigkeit der Engländer“: „Es würde zu weit führen, alle Stationen des persönlichen Opfermutes jener deutschen Wissenschaftler aufzuführen, die zum endlichen Siege (moralisch und in der Tat) führten […]. Thematisch gesehen, bedeutet [der Film] eine Rückenstärkung für uns in diesem Kriege: wir wissen, daß wir noch Aufgaben haben in dieser Welt, und wir Deutsche, wir werden sie erfüllen.“
„Bewundernswert ist es, daß es in Deutschland möglich war, die Szenen mit den Eingeborenen in so fremdartiger Realität zu photographieren“, schreibt Ruß. Die „fremdartigen“ „Neger“, wie Ruß sie nennt, waren wohl französische Kriegsgefangene.
Vaterländischer Film
Auch vom Propagandafilm Die Spinne ist Ruß begeistert. Ein gelungenes Beispiel des „vaterländischen Films“, wie sie betont: „Das Thema ‚Feind hört mit‘ ist in aller Munde. Von Fenstern, Zäunen, Mauerwänden dunkelt die Gestalt des Schattenmannes, der zum Schweigen auffordern soll. Der Film hat sich des zeitgemäßen Stoffes angenommen und in einem höchst gekonnten Bildstreifen die Machenschaften der Werkspione vor die Kamera gebracht. […] Ein Film, den man wärmstens empfehlen muß.“
Der Film erfülle alle Aufgaben, „die dem deutschen Film nach dem Willen unserer Führung als […] Volksbildungsmittel heute gestellt sind“: „Wenn man, wie im Fall der ‚Goldenen Spinne‘, dem Volk die Augen öffnet für einen gefährlichen, schattenhaften Gegner, so ist das eine Tendenz, die man nur lebhaft begrüßen kann […].“
Volk und Vaterland
Der Film würde den Leitgedanken, „daß der Staat nämlich mehr ist als der einzelne“, wunderbar herausarbeiten: „Volk und Vaterland sind Ideen, die wir so fest in uns einsaugen sollen, bis sie gleichsam wieder als uns in Fleisch und Blut übergegangene Wahrheit in uns weiterwirken.“ Ruß‘ Filmanalyse ist zur Abrundung ein Goebbels-Zitat beigefügt: „Der Krieg erfordert unsere gesamte Kraft; aber setzen wir diese ein, dann ist uns der Sieg auch sicher.“
Was sagt die Stadt?
In einem Lebenslauf auf der Seite der Stadt verschweigt sie offenbar bewusst Ruß‘ Arbeit als NS-Propagandistin. Auf eine schriftliche Anfrage hat die Stadt nicht reagiert.
Die Leiterin des Kulturbüros, Verantwortliche für Erinnerungskultur der Stadt und Ruß-Biografin Paula von Sydow hat nach mehreren Absagen einem Interview zugestimmt, im Nachhinein aber die Verwendung jeglicher Zitate verboten. Ihr lagen sowohl oben zitierte Textauszüge als auch die Interview-Fragen in schriftlicher Form schon vor dem Gespräch vor. Schriftlich wollte sie sich nicht äußern.
Auch die Leitung des Edith-Russ-Hauses verschweigt auf ihrer Internet-Seite die Vergangenheit der Namensgeberin und bezeichnet sie auf schriftliche Anfrage als „unbedeutende Mitläuferin“, deren Artikel „meist einfach unterhaltend“ und nur manchmal „heroisierend“ gewesen seien. Sie sieht keinen Grund zum Handeln. ◯