Erna Schlüter, eine „unpolitische“ Nationalsozialistin

Die Oldenburger Opernsängerin sang zu Ehren Hitlers, Goebbels‘ und der „Machtergreifung“. Angeblich war sie „unpolitisch“.


Erna Schlüter wird in Oldenburg wie keine andere Sängerin verehrt. Ein Foyer im Staatstheater, eine Stiftung, ein Preis für Nachwuchssänger*innen, und eine Gesellschaft, die ihr Andenken pflegt, tragen ihren Namen. Ihr Geburtshaus ist mit einer Plakette verziert aus und an ihrem Grab wurde zu ihrem 100. Geburtstag ein Gedenkstein eingeweiht.

Schlüter hatte ihren Karrierehöhepunkt zwischen 1933 und 1945, wurde im Nationalsozialismus hofiert und sang bei Propagandaveranstaltungen der NSDAP. Dazu schweigen sowohl die Erna-Schlueter-OpernGesellschaft als auch das Staatstheater.

In Oldenburg geboren und aufgewachsen führt Schlüters Weg über Mannheim nach Düsseldorf. Dort ist sie ab 1930 an den Städtischen Bühnen engagiert und wird als Wagner-Interpretin bekannt. Die Werke des Antisemiten Richard Wagner waren ein wesentlicher Bestandteil der NS-Kulturpolitik, was Schlüters Karriere erheblichen Rückenwind gab.

Nach der „Machtergreifung“ 1933 „säubern“ die Nationalsozialisten die Städtischen Bühnen Düsseldorf von „unerwünschten“ Personen. Erna Schlüter darf bleiben und hat keine Repressionen zu befürchten, im Gegenteil.

Noch im selben Jahr tritt sie bei zwei Sonderaufführungen auf: eine zu Ehren Hitlers, die andere zu Ehren Goebbels‘. 1934 singt sie bei einer Veranstaltung zum Gedenken an die „Machtergreifung“.

Schlüter ist Mitglied der Reichsmusikkammer, die sich dem Kampf gegen „entartete“ Musik verschrieben hat, und nur „Arier“ aufnimmt. Sie hat überaus gute Beziehungen zum Präsidenten der Kammer, Richard Strauss, und dem Vizepräsidenten Wilhelm Furtwängler. Strauss und Furtwängler rufen 1934 im „Aufruf der Kulturschaffenden“ zur Wahl Hitlers auf und zählen sich zu „des Führers Gefolgschaft“. Mit beiden arbeitet Schlüter auch nach 1945 eng zusammen.

Ihre Arbeitsstätte, die Städtischen Bühnen Düsseldorf, sind voll in die NS-Propaganda eingespannt. Sie veranstalten Sonderaufführungen für Mitglieder von SA, SS, NSDAP und NS-Frauenschaft und verbreiten in ihren Programmheften Hitlers Ansichten zu Kunst und Kultur. Die Wagner-Inszenierungen mit Schlüter in der Hauptrolle bewerben die Bühnen als „rassisch“.

Schlüter gastiert in allen Ecken des Landes und macht sich im Reich einen Namen. An Hitlers Geburtstag, dem 20. April 1938, erhält sie einen Brief von Propagandaminister Goebbels: „Der Führer“ persönlich hat sie zur Kammersängerin ernannt. Goebbels spricht seine „herzlichsten Glückwünsche“ aus.

Auch bei den faschistischen Verbündeten des NS-Regimes ist Schlüter beliebt. Sie spielt in Mussolinis Italien, Francos Spanien, Bulgarien und Rumänien. Der deutsche Vernichtungskrieg in Europa eröffnet Schlüter neue Spielstätten. Sie tritt 1939 und 1942 im besetzten Polen und 1940 in den besetzten Niederlanden auf.

1944 ist Schlüter Teil der „Gottbegnadeten-Liste“ des Propagandaministeriums. Mit der Liste ehrt das NS-Regime „anständige Kunstschaffende“, die sich besonders um das Vaterland verdient gemacht haben.

Nach Kriegsende geht es mit Schlüters Karriere allmählich zu Ende. Sie gibt in den 50ern ihren Bühnenabschied und stirbt 1969.

Auf ihrer Internet-Seite verschweigt die Erna-Schlueter-OpernGesellschaft die Vergangenheit ihrer Namensgeberin. Sie redet von „den vielen und erfüllten Jahren ihrer künstlerischen Laufbahn“ und schwärmt von Schlüters Auftritten in Amsterdam, Barcelona und Mailand, nennt aber lieber keine Jahreszahlen. Von der Ernennung durch Hitler zur Kammersängerin und der Aufnahme in die „Gottbegnadeten-Liste“ ganz zu schweigen.

Auf schriftliche Anfrage erklärt die OpernGesellschaft, Schlüter sei „unpolitisch“ gewesen und habe „eher zufällig genau im nationalsozialistischen Trend gelegen“. Es gebe keine Aufzeichnungen politischer Äußerungen von Schlüter, deshalb sei eine Einschätzung ihrer Gesinnung nicht möglich.

Schlüter war Teil des NS-Propaganda-Apparats. Sie hat mit ihren Auftritten das von den Machthabern gewünschte Bild der angeblich überlegenen deutschen Kultur verbreitet und wurde entsprechend für ihren Einsatz belohnt. Hitler hat sie persönlich zur Kammersängerin ernannt und das Propagandaministerium hat sie in die Gottbegnadeten-Liste aufgenommen. Schlüter hat zweifellos direkt vom NS-Regime profitiert. Als Mitglied der Reichsmusikkammer musste sie sehr wahrscheinlich einen „Ariernachweis“ erbringen. Nachdem Wehrmacht und Waffen-SS in Polen und den Niederlanden eingefallen waren, hatte sie keinerlei Skrupel in den besetzten Gebieten aufzutreten. Ob man bei einem solchen Lebenslauf wirklich an Schlüters politischer Einstellung zweifeln kann, ist äußerst fraglich.

Das Staatstheater arbeitet eng mit der OpernGesellschaft zusammen und hat 2006 das Erna-Schlüter-Foyer eingeweiht, ein kleiner Vorraum zu ihren Ehren. Auch auf der Seite des Staatstheaters fehlt jeder Hinweis auf Schlüters Wirken zwischen 1933 und 1945. Das Theater erklärt auf schriftliche Anfrage, dass es lediglich die Erna-Schlüter-OpernGesellschaft vorstelle, deswegen sei Schlüter nur mit einer Kurzbiografie vertreten. Für ihren Auftritt an der Mailänder Scala hat das Staatstheater Platz. Das Datum, 1942, sucht man jedoch vergeblich.

Für weitere Informationen verweist das Staatstheater auf eine 2012 erschienene Biografie. Tatsächlich ist in dem Buch Schlüters Karriere im Nationalsozialismus detailliert beschrieben, es ist die Grundlage für diesen Artikel. Laut der Autorin sei Schlüters politische Einstellung aufgrund fehlender Quellen aber ein unergründliches Mysterium und könne nicht einmal im Ansatz beurteilt werden, weshalb die Biografie diesen Punkt gar nicht erst behandelt.

Das Buch wurde von der Erna-Schlueter-OpernGesellschaft herausgegeben und beinhaltet ein Grußwort des damaligen Generalintendanten des Staatstheaters. Beide Einrichtungen wissen also bestens über Schlüters NS-Karriere Bescheid. Anstatt ihre Verehrung der Nationalsozialistin Schlüter zu überdenken oder ihre NS-Vergangenheit transparent zu machen, lassen sie die Biografie klammheimlich in der Bibliothek verstauben.

Gerade Oldenburg, wo die Nationalsozialisten schon 1932 die absolute Mehrheit hatten, trägt eine besondere Verantwortung und sollte sich seiner Vergangenheit stellen. Das sehen wohl nicht alle so.

Korrektur: In einer früheren Version wurde das Erna-Schlüter-Foyer im Staatstheater als „Gedenkraum“ bezeichnet. Die diversen Bilder und Texttafeln zu ihrer Person wurden seit der Einweihung entfernt.