Rechtsextreme und antisemitische Bücher auf Esoterik-Messe in Oldenburg

Auf der EinsSein-Messe in Oldenburg verkauft ein Aussteller Bücher von bekannten Rechtsextremisten. Der Veranstalter möchte weiter mit ihm zusammenarbeiten. Die Weser-Ems-Hallen und der Oberbürgermeister blocken ab.


Ende Juli war die EinsSein-Messe für „Gesundheit, Spiritualität und Begegnung“ zu Gast in Oldenburg. Das Highlight der rund 50 Ausstellenden war laut Pressemitteilung der Artha Buchdienst aus dem Allgäu, die angeblich größte reisende Buchhandlung für Spiritualität im deutschsprachigen Raum. Statt Klangschalen und Heilsteinen verkauft Artha antisemitische Bücher.

Auf der Messe wird das „Highlight“ seinem Namen gerecht: Als einziger Stand ist Artha direkt hinter dem Messe-Eingang platziert und nimmt die gesamte Ausstellungsfläche im Erdgeschoss ein. Die restlichen Ausstellenden im Obergeschoss erreicht man nur über eine Treppe. Wer zu den Klangschalen will, muss bei Artha vorbei.

An den Verkaufstischen steht Geschäftsführer Oliver F., um ihn herum ca. 2000 Bücher, wie er sagt. Zwischen Titeln zu Selbsthilfe, Reiki und Yoga liegen auch zwei Bände der Anastasia-Reihe von Wladimir Megre. Sie sind ein Fall für den Verfassungsschutz.

Anastasia

Die Anastasia-Reihe verbreitet laut dem Bundesamt antisemitische Vorurteile sowie „demokratiefeindliche und rassistische Inhalte“. Sie stellt Jüdinnen und Juden als „Strippenzieher“ dar, die angeblich das Weltgeschehen lenken und Autor Megre gibt ihnen eine Mitschlud am Holocaust. Die Reihe ist das ideologische Fundament der völkisch-esoterischen Anastasia-Bewegung. Mitglieder haben Verbindungen zu Rechtsextremisten, Reichsbürgern und Holocaustleugnern. Das Bundesamt für Verfassungsschutz stuft die Bewegung als rechtsextremen Verdachtsfall ein und beobachtet sie bundesweit.

Zeit für ein Interview habe Buchhändler Oliver F. nicht, er müsse abbauen. Die Anastasia-Reihe und deren Inhalte kenne er aber. Der Verkauf der Bücher sei für ihn Ausdruck seiner Meinungsfreiheit und seine Kunden sollten sich informieren können. Kritische Nachfragen zu den Anastasia-Büchern vergleicht er mit den Bücherverbrennungen der Nazis. Megres These zum Holocaust widerspricht er nicht.

Der Kölner Esoterik-Unternehmer Peter Schützler veranstaltet die EinsSein-Messe. Seine Reaktion zu den Büchern: „Ups.“ Er sei überrascht und versichert: „[Oliver F.] ist völlig unverdächtig was irgendwas in diese Richtung anbelangt, ich kenne ihn über 15 Jahre.“ Trotzdem werde er dem nachgehen und gucken, „ob das ein Versehen ist“. Schützler werde ihn bitten, „die [Bücher] nächstes Mal einfach wegzutun“.

Es sei aber „immer ein bisschen schwierig“, Antisemitismus zu erkennen: „Manchmal muss man ja erst ein Buch drei Mal gelesen haben, bevor man das ein oder andere versteht.“

Schützler erklärt, die Messe sei friedfertig und weltoffen, dann schweift er ab: „Was natürlich in Deutschland, jetzt werd‘ ich politisch, für meine Begriffe schon ein Problem ist, dass zu wenig diskutiert wird […]. Wir haben das natürlich auch in der Corona-Thematik erfahren.“ Er sei überrascht gewesen als Esoteriker in eine rechtsextreme Ecke gestellt zu werden: „Wir sind da völlig unbeleckt. […] Wir haben in Köln 100.000 Türken, da gehen wir immer toll mit um […].“

In der Auslage von Artha liegen auf den zweiten Blick diverse fragwürdige Bücher. Da wäre zum Beispiel Die Falle von David Icke. Der antisemitische Verschwörungstheoretiker aus England hat in Deutschland und 25 weiteren Ländern Einreiseverbot.1 Wenn das die Deutschen wüssten… verbreitet auf 400 Seiten Reichsbürger-Ideologie. Die BRD sei eine von den Alliierten installierte Firma, der Personalausweis ungültig und die Deutschen angeblich versklavt. Andere Bücher stammen vom Kopp Verlag, der auch das „gesichert rechtsextreme“ Compact-Magazin vertreibt und enge Verbindungen in die Szene hat. Der Titel Corona-Komplott ist selbsterklärend.

Jan Udo Holey alias „Jan van Helsing“

Mindestens fünf der angebotenen Bücher hat Jan Udo Holey alias „Jan van Helsing“ geschrieben. Er wurde erstmals 1996 in einem Verfassungsschutzbericht erwähnt. Das Bundesamt bezeichnet ihn als „rechtsextremistischen Esoteriker“ und das Handbuch für Antisemitismus widmet ihm einen eigenen Artikel. Holey verbindet Antisemitismus, Rechtsextremismus und krude Verschwörungstheorien mit einem esoterischen Weltbild. Es geht bei ihm um eine angebliche Kriegserklärung des „Weltjudentums“, die „Abschaffung der weißen Rasse“ und den „Völkermord an den Deutschen“, aber auch um UFOs, Hellsehen und Reinkarnation.

Holey wurde 1994 durch sein zwei-bändiges Werk Geheimgesellschaften und ihre Macht im 20. Jahrhundert bekannt. Der Spiegel bezeichnete die Bücher als „eine Mixtur aus ‚Mein Kampf‘, wilder Science-fiction und Schwarzer Magie“. Holey schreibt darin von einer angeblichen jüdischen Weltverschwörung durch die Illuminaten. Sie wollten die Menschheit versklaven und eine geheime Weltregierung einsetzen. Er bezieht sich auf esoterisch geneigte Nazis wie SS-Mann Wilhelm Landig und Rudolf von Sebottendorf und stützt sich maßgeblich auf Die Protokolle der Weisen von Zion. Diese antisemitische Hetzschrift war ein zentraler Bestandteil der Nazi-Propaganda im Vorfeld des Holocaust. Hitler erwähnte sie in Mein Kampf.

Band eins und zwei von Holeys Geheimgesellschaften sind in Deutschland und der Schweiz verboten. Auf der EinsSein-Messe verkauft Artha Band drei: Krieg der Freimaurer. Das Buch behandelt unter anderem „die Neue Weltordnung“ und „die Bedeutung von Ritualmorden und Kinderblut“ – klassische antisemitische Codes.

In der Auslage liegt auch Hände weg von diesem Buch!, vom Verfassungsschutz ausdrücklich als rechtsextremistisch und antisemitisch eingestuft. Hier wiederholt Holey das Märchen der jüdischen Weltverschwörung. In seinem Buch Whistleblower, ebenfalls auf der Messe erhältlich, steht, man könne „den Hass der Deutschen“ auf die Juden „logischerweise auch nachvollziehen“. Nicht die Deutschen, sondern verschiedene „Bankiersfamilien“ seien verantwortlich für den Zweiten Weltkrieg gewesen – gemeint sind natürlich Juden.2

Im Online-Shop von Artha findet man mit Rudolf von Sebottendorfs Die geheimen Übungen der türkischen Freimaurer auch Holeys zeitgenössische Vorbilder. Sebottendorf gründete 1918 die antisemitische ThuleGesellschaft und war erster Chefredakteur des Völkischen Beobachters. Mitglieder der ThuleGesellschaft gründeten 1919 die Deutsche Arbeiterpartei DAP. Ein Jahr später folgte die Umbenennung in NSDAP.

Artha bietet im Internet eine Fülle weiterer verschwörungstheoretischer, antisemitischer und rechtsextremer Bücher an. Neben dem fast vollständigen Werk Holeys findet man hier Hitlers Flucht, Geheimsache 09/11, Vatikan AG, Bilderberger

Experte ist nicht überrascht

„Es überrascht mich nicht, dass auf der Messe solche antisemitischen Bücher verkauft wurden“, sagt Ulrich Matthias Gerr von der Universität Oldenburg. Er beschäftigt sich mit Antisemitismus und Verschwörungstheorien und hatte in den sozialen Medien vor der EinsSein-Messe gewarnt. „Es schockiert mich trotzdem.“

Gerr erklärt: „Es gibt Gründe, warum esoterisches Denken zu einem antisemitischen Denken führen kann.“ Die Esoterik behaupte, einige Erleuchtete hätten Zugang zu einem Geheimwissen, meist in der Form von Heilmethoden. Dieses Wissen werde angeblich von mächtigen Kreisen wie der Wissenschaft oder der Pharma-Lobby unterdrückt und die Esoteriker sähen sich als „Erleuchtete“ in einem Kampf gegen dunkle Mächte. „Man sieht, dass es hier eine Offenheit für Verschwörungsdenken gibt.“ Daran knüpften Autoren wie Holey an. Natürlich sei nicht jeder Esoteriker automatisch Antisemit, aber: „Wenn man dafür offen ist, ist man zumindest bedroht von einer Dynamik erfasst zu werden, die auch in antisemitisches und rassistisches Denken führen kann. Deswegen sollte man sich dieser strukturellen Gemeinsamkeiten bewusst sein, wenn man sich mit Esoterik beschäftigt.“

Auf schriftliche Nachfragen antworten EinsSein-Veranstalter Peter Schützler und Oliver F. von Artha stellenweise wortgleich, sie haben sich offensichtlich abgesprochen. Beide erklären, dass sie jede Form von Antisemitismus ablehnen. Egal ob „Juden, Christen, Muslim[e]“, sie beurteilten Menschen nicht nach Religionszugehörigkeit sondern nach der „Menschenwürde“.

Sie rechnen vor, dass angeblich nur ein kleiner Teil der Bücher auf der EinsSein-Messe „problematisch“ gewesen sei: „Ca. 20 von 2000 und damit 0,1%.“ Abgesehen davon, dass 20 von 2000 natürlich 1% und nicht 0,1% sind, hat Antisemitismus-Experte Gerr eine klare Meinung: „Selbst wenn es nur 20 Bücher sind, sind das 20 zu viel.“

Veranstalter Schützler werde weiter mit Oliver F. von Artha zusammenarbeiten, solange er auf der Messe keine „problematischen“ Bücher mehr verkauft. Er werde die AGB der EinsSein-Messe anpassen. Sie würden von nun an verbieten, Werke zu verkaufen, die auf dem Index stehen oder vom Verfassungsschutz als „verfassungsfeindlich“ eingestuft wurden.

Artha-Geschäftsführer Oliver F. „bedauere“, dass er der These des Anastasia-Autors zum Holocaust nicht sofort widersprochen hat. Sie sei ihm „zutiefst zuwider“. Dass laut Brandenburgischem Verfassungsschutz „Teile der Anastasia-Buchreihe verfassungsschutzrelevante Elemente aufweisen“, weiß er. Oliver F. folgert daraus aber, dass „nicht die gesamte (!)“ Reihe betroffen sei. Tatsächlich wolle er mit dem Verkauf der Bücher „verhindern, dass […] Menschen aus Neugier zu […] der Anastasia-Bewegung gehen […].“ Er empfinde es wie „Amazon, Hugendubel [und] Thalia“ als seine Verpflichtung mit dem Verkauf der Bücher „die Meinungsfreiheit in einem demokratischen Rechtsstaat“ zu garantieren. Dann zitiert er das Grundgesetz und Helmut Schmidt.

Durch den Verkauf der Bücher hat Artha nicht nur finanzielle Verbindungen zu Holey und Konsorten. Ein Blick auf die Facebook-Seite von Artha zeigt, dass auch eine inhaltliche Nähe besteht. Dort teilt die Buchhandlung einen Beitrag des Antisemiten Jo Conrad. Er steht Jan Udo Holey nahe und verbreitet unter anderem die These, der Anschlag auf die Synagoge in Halle 2019 könnte ein Täuschungsmanöver des israelischen Geheimdienstes gewesen sein.

Weser-Ems-Hallen und Oberbürgermeister blocken ab

Die von der EinsSein-Messe genutzten Weser-Ems-Hallen gehören der Stadt Oldenburg. Die Hausordnung ist eindeutig: „rassistisches, fremdenfeindliches und radikales Propagandamaterial“ sind in den Weser-Ems-Hallen verboten.

Auf Anfrage verweist Geschäftsführer Hans Dieter Meier aber auf den Veranstalter der Messe und beantwortet keine einzige Frage. Eine Stellungnahme zu den Büchern gibt er nicht ab. Die Weser-Ems-Hallen sind als Unternehmen in öffentlicher Hand gegenüber der Presse auskunftspflichtig.

Seine einzige inhaltliche Äußerung: „Ich gestatte mir an dieser Stelle noch die Anmerkung, dass aus juristischer Sicht, das haben wir auch schon geprüft, Verdachtsmomente nicht ausreichen um Veranstalter oder Aussteller auszuschließen. Dies würde gegen das Grundgesetz verstoßen.“ In welcher Weise der Verkauf oben beschriebener Bücher lediglich ein „Verdachtsmoment“ ist und wie er zu seiner juristischen Einschätzung kommt, erklärt Meier nicht.

Die Reaktion der Presseabteilung auf eine erneute Möglichkeit zur Stellungnahme: „Mit der Antwort unseres Geschäftsführers ist alles gesagt.“ Ihre eigene Hausordnung wollen oder können die Weser-Ems-Hallen anscheinend nicht durchsetzten.

Oberbürgermeister Jürgen Krogmann, Mitglied der Gesellschafterversammlung der Weser-Ems-Hallen lässt sich für die Antwort auf eine Anfrage bezüglich der Bücher drei Wochen Zeit. Die Stadt nehme das Thema „sehr ernst“, lehne „jegliche Form von Antisemitismus“ ab und werde zusammen mit den Weser-Ems-Hallen „im Rahmen der geltenden Gesetze alles in unserer Macht Stehende unternehmen […], um antisemitische Tendenzen zu unterbinden.“

Krogmann spricht aber lediglich von „Autoren aus dem vermeintlich rechtsextremen und rechtsextremistischen Umfeld“. Aus der Anfrage geht die klare Einschätzung des Verfassungsschutzes zu Holey und der Anastasia-Bewegung hervor.

Laut Krogmann wären jegliche Konsequenzen „Selbstjustiz“ und würden den Rechtsstaat und die Meinungsfreiheit untergraben. Der Stadt und den Weser-Ems-Hallen seien juristisch die Hände gebunden. Er könne aber versichern, „dass der Geschäftsführer der Weser-Ems-Halle den Veranstalter der Messe im kommenden Jahr für dieses sehr ernst zu nehmende Thema entsprechend sensibilisieren wird.“

Konkrete Schritte, um den Verkauf oben beschriebener Bücher in Zukunft zu unterbinden, wird die Stadt nicht unternehmen. Auch Krogmann schweigt zur Hausordnung.

Sebastian Rohe von den Grünen ist ebenfalls Mitglied der Gesellschafterversammlung. Er äußert sich eindeutiger: „Wir werden dieses Thema in der nächsten Gesellschafterversammlung […] besprechen und prüfen, ob und welche Möglichkeiten […] bestehen, um dieser menschenfeindlichen Ideologie entgegenzutreten.“

Ob in der Gesellschafterversammlung oder anderweitig tatsächlich Konsequenzen bezüglich der Bücher beschlossen wurden, beantwortet der Pressesprecher der Weser-Ems-Hallen nicht. Das unterliege der Geheimhaltung.

Halle 2019, Hanau 2020, Idar-Oberstein 2021, mordende Reichsbürger und die Terrorgruppe um Prinz Reuß – alle Täter teilten Gedankengut, wie es insbesondere Holey verbreitet. Auch die Anastasia-Reihe steht mit Gewalttaten in Verbindung. Von der Masse an „alltäglichem“ Antisemitismus und Rassismus, den solche Bücher befeuern, ganz zu schweigen. Man hätte eine entschlossenere Reaktion von Stadt und Weser-Ems-Hallen erwarten können.

In Wien ist man einen kleinen Schritt weiter als in Oldenburg. Auch dort hatte Artha wiederholt antisemitische und rechtsextreme Bücher verkauft. Nach mehrjähriger Berichterstattung durch den Standard verzichtet Artha in Wien seit kurzem auf den Verkauf der „problematischen“ Bücher.

Es bleibt abzuwarten wie schnell oder ob in Oldenburg überhaupt Konsequenzen gezogen werden. Die nächste Ausgabe der EinsSein-Messe ist am 8. und 9. Juni 2024 zu Gast in den Weser-Ems-Hallen.


  1. AFP: Niederlande verweigern britischem Verschwörungserzähler Icke die Einreise, in: berliner-zeitung.de, 04.11.2022. ; Paul Karp: Conspiracy theorist David Icke hits back after Australia revokes visa, in: theguardian.com, 20.02.2019. ↩︎
  2. Jan van Helsing/Stefan Erdmann: Whistleblower, 2016, S. 129. ↩︎